Energiekosten – Soziale Infrastruktur in Gefahr
Offener Brief an die Landespolitik vom 29.09.2022
Die derzeitigen bzw. zukünftigen Preissteigerungen – vor allem im energetischen Bereich – werden von den Leistungserbringern der sozialen Angebote in unserem Bundesland nicht mehr kompensierbar sein. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen den damit verbundenen Rückgang sozialer Angebote mit großer Sorge. Eine Versorgung mit sozialen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge der hilfebedürftigen Menschen kann dann nicht mehr garantiert werden! Wir erbitten deshalb jetzt Ihre Unterstützung.
Die Verbände der Leistungserbringer wenden sich seit März 2022 an das Sozial- und Bildungsministerium, an die kommunalen Verbände und an Kostenträger, um gemeinsame Lösungen zur Finanzierung der nicht vorhersehbaren Kosten zu erarbeiten – bis heute ohne Erfolg.
Modifizierung üblicher Verhandlungsabläufe zur Bewältigung hoher Teuerungsraten
Die sozialen Angebote finanzieren sich über prospektiv festgelegte Entgelte; die Träger von Angeboten müssen also für ein Jahr in die Zukunft gerichtet ihre Kosten abschätzen und im Rahmen von Entgeltverhandlungen mit den zuständigen Kostenträgern vereinbaren. Diese Vereinbarungen gelten mindestens 12 Monate. Die jüngste Vergangenheit hat uns gezeigt, dass wir uns in einer nie dagewesenen Preisspirale befinden. Uns allen ist bewusst, dass derzeit der Blick in die Zukunft nicht annährungsweise verlässlich durchgeführt werden kann. Das bedeutet, dass Vertragsabschlüsse, welche vor wenigen Monaten geschlossen worden sind, bereits heute nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten entsprechen. Um während der andauernden Krise diesen Unwägbarkeiten im Verhandlungsgeschehen zu begegnen und den Erhalt der sozialen Angebote und Einrichtungen zu sichern, schlagen die Verbände der Leistungserbringer folgende Lösungsansätze vor:
- Ermöglichung vorzeitiger prospektiver Neuverhandlungen für Zeiträume unter einem Jahr
- Neuverhandlungen die auch eine nachträgliche Refinanzierung in Betracht zu ziehen
- Verkürzung der Verhandlungszeiträume auf deutlich unter 6 Wochen.
Bislang konnte unter Leistungserbringer- und Kostenträgerverbänden hierzu keine Absprachen zu angepassten Verhandlungsverfahren getroffen werden.
Kurzfristige pauschale Unterstützungen für soziale Einrichtungen
Ergänzend müssen pragmatische, pauschale Lösungen für die zahlreichen Verhandlungen in den Bereichen Pflege (stationär: 258; teilstationär; 261 ambulant 543) Eingliederungshilfe (ca. 800) und Kindertageseinrichtungen (1.120) gefunden werden. Leider sind unsere Vertragspartner hierzu bislang nicht bereit. Solange bleibt es beim gesetzlich vorgesehenen Verhandlungsweg, der allerdings in Anbetracht der aktuellen kritischen Kostensteigerungen in vielen Fällen nicht zielführend ist. Die gesetzlichen Verhandlungsfristen liegen zwischen 6 Wochen und 3 Monaten, je nach Angebotsart. Aber selbst, wenn diese Fristen eingehalten werden, wird aus unterschiedlichen Gründen nicht immer ein geeintes Verhandlungsergebnis gefunden. Klärende Schiedsstellenverfahren und deren Abschluss sind zeitlich kaum absehbar. So befinden sich derzeit in der Schiedsstelle SGB IX Verfahren, welche bereits seit zwei Jahren auf einen Termin warten!
Die betroffenen Träger müssen in Folge dessen bereits zwei Jahre alle Kostensteigerungen der letzten Jahre (auch Personalkostensteigerungen!) vorfinanzieren, die aktuelle Problematik noch gar nicht mit einbezogen. Aufgrund der derzeitigen Verhandlungssituationen in diesem Bereich erscheint eine schnelle und pragmatische Refinanzierung der Energiekosten dringend geboten. Hier kann nicht mehr auf lange Verwaltungsverfahren gewartet werden, sondern es muss jetzt ausgewogen gehandelt werden.
Schutzschirm zur Entlastung der Betroffenen von Preissteigerung und Mangel-Folgen
Darüber hinaus ersuchen wir Sie dringend, sich dafür einzusetzen, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern in Kooperation mit Bund und Kommunen einen Schutzschirm zur Aufrechterhaltung der sozialen Angebote sowie zur finanziellen Entlastung der versorgten Personen initiiert.
Die Energie-Krise wird – neben den angesprochenen deutlichen Preissteigerungen für Energie und weitere Sachkosten – möglicher Weise in eine gravierende Mangel-Situation führen, in der Handlungsoptionen zur Sicherstellung der Versorgung der betreuten Personen geschaffen werden müssen. Mögliche Maßnahmen sind die Einführung autarker Strom- und Wärmeversorgung oder die schlichte Ausrüstung mit Schlafsäcken, Wärmedecken etc. Um auf die auftretenden individuellen Bedarfe schnell und sachgerecht reagieren zu können, erachtet die LIGA M-V die zur Verfügungstellung eines entsprechenden Budgets bei den Landkreisen und kreisfreien Städten als dringend angebracht. Daher ersuchen wir Sie, sich ebenfalls dafür einzusetzen, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern auch hierfür entsprechende Finanzmittel zur Verfügung stellt.
Darstellung konkreter Fallbeispiele
Die jeweiligen Problematiken der Finanzierung sozialer Angebote stellen wir Ihnen in der beigefügten Anlage exemplarisch für Angebote der Eingliederungshilfe und Pflege dar. Die darin aufgezeigten Kostensteigerungen bergen ein hohes Risiko bei den Trägern, die angesichts prospektiver Verhandlungskreisläufe und langwieriger Verhandlungsverfahren vollständig zu Lasten der Leistungserbringer gehen. Diese Beispiele zeigen, dass in schwierigen Situationen wie sie derzeit vorherrschen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Refinanzierung der prospektiven Entgelte in den Einrichtungen und Diensten nicht angemessen und zielführend sind.
Die Darlegungen zur Eingliederungshilfe und Pflege sind auf alle sozialen Angebote übertragbar. Zu nennen sind hier neben Krankenhäusern und Schulen insbesondere Beratungsangebote, Rehabilitationseinrichtungen sowie Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Anzumerken ist, dass die einrichtungsbezogenen Kostensteigerungen und damit verbundenen Belastungen unterschiedlich ausgeprägt sind und sein werden.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege setzen sich mit den aufgeführten Vorschlägen für pragmatische Lösungen zum Schutz der sozialen Angebote und Einrichtungen sowie für eine finanzielle Entlastung der versorgten Personen ein. Wir regen für Mecklenburg-Vorpommern an gemeinsame Gespräche mit den Protagonisten von Land, Kommunen und der Sozialwirtschaft zu führen, wie dies in anderen Bundesländern bereits erfolgt. Die Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur muss höchste Priorität haben!
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Christian Wolkenstein
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